von Dr. Reinhard Bauer
Schwabing war stets auch ein politisches Pflaster und ein Nährboden für Politiker.
Der Schwabinger Ludwig Quidde (1858-1941) war von 1907 bis 1918 Landtagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei und gehörte 1919 der Deutschen Nationalversammlung an. Er bekannte sich seit 1900 zum Pazifismus und war von 1914 bis 1929 Vorsitzender der „Deutschen Friedensgesellschaft"; 1927 erhielt er den Friedensnobelpreis.
Der Philosoph Georg von Hertling wurde 1912 Ministerpräsident von Bayern und 1917 Reichskanzler und Preußischer Ministerpräsident. Als Studenten erlebten spätere Politiker die Schwabinger Boheme, wie Ernst Reuter, der Bürgermeister von Magdeburg und Berlin wurde, oder Theodor Heuss, der erste deutsche Bundespräsident. Die Möglichkeit, hier relativ ungestört politisch arbeiten zu können, lockte auch Ausländer nach Schwabing. Solange sie zahlen konnten, betrachtete die Polizei auch Verdächtige, die natürlich überwacht wurden, als Teil des Fremdenverkehrs und ließ sie weitgehend unbehelligt.
So lebten hier die Väter der Russischen Revolution Leo Trotzki und Wladimir Iljitsch Lenin. Seine Lebensgefährtin Nadeshda Krupskaja: Er schrieb damals schon an seiner Broschüre „Was tun?'' [...] Wir gingen zwar auch manchmal in Versammlungen, aber sie waren im allgemeinen wenig interessant. Sie gaben wenig Inspirationen für die große Weltrevolution, die von Schwabing aus geplant wurde.
Ein anderer, der die Welt beeinflussen sollte, kam ein Jahrzehnt später nach München. Der Postkartenmaler Adolf H. wohnte in der angrenzenden Maxvorstadt. Doch war er oft in Schwabing, in dessen Dunstkreis er auch viele Freunde fand. Auch Gegner der NSDAP, wie Wilhelm Hoegner oder die Widerstandskämpfer Hermann Frieb und die Mitglieder der Weißen Rose lebten hier.
Auch in der Zeit nach 1945 wurde Schwabing wieder Schauplatz der Politik. In der Wohnung von Josef Müller, genannt Ochsenseppe wurde, 1946 die CSU gegründet.
In der Wilhelmstraße wohnt der Politiker und Publizist Professor Dr. Peter Glotz. Der Oberbürgermeister Christian Ude, die erste Bürgermeisterin Dr. Gertraud Burkert wurde hier geboren und die Stadtbaurätin Christiane Thalgott wohnt hier.
Sozis
Die Arbeiterbewegung blickt in Schwabing, dank der Maffeischen Fabrik, auf eine lange Tradition zurück.
Mindestens seit 1873 gab es eine Sektion Schwabing der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Auf dem Parteitag in Eisenach war dieser Ort neben München als einziger aus Oberbayern vertreten. Bei der Mandatserklärung wurden dort 18 Mitglieder angegeben (zum Vergleich: München 150, Bayern 1121, Deutsches Reich 9273).
Georg von Vollmar, der spätere Abgeordnete langjährige Vorsitzende der bayerischen SPD, der ab 1891 einen gemäßigt reformerischen Kurs verfolgte („Königlich bayerischer Sozialdemokrat“), wurde 1887 von der Polizei als Schriftsteller in Schwabing geführt. Man steckte ihn als gefährlichsten Agitator nächst Bebel, obwohl er Schwerkriegsversehrter war, in Sachsen neun Monate ins Gefängnis.
Die Partei war zwar dann von 1878 bis 1890 durch das Sozialistengesetz verboten, wuchs aber und wurde am Ende des Jahrhunderts bei den Kommunalwahlen in Schwabing trotz des an Besitz geknüpften ungerechten Wahlrechtes stärkste Kraft.
Die SPD führte natürlich auch zahlreiche Veranstaltungen durch. So sind wir über eine öffentliche Versammlung der Sektion Schwabing am Samstag, den 17. November durch den Bericht eines Polizeispitzels informiert. Eingeladen war für abends acht Uhr in das Gasthaus “Zum Goldenen Onkel” in der Kaiserstraße 53 (heute 46). Der Sektionsführer Teufelhardt eröffnete dann um neun Uhr, um dem Referenten, dem Redakteur Martin Gruber, zu dem angekündigten Thema “Die Bedeutung des Bürger- und Heimatrechtes” das Wort zu geben. Dieser informierte über die Rechtslage und ging dabei mit den Herrschenden scharf ins Gericht. Er griff neben Magistrat und Gemeindebevollmächtigten auch die “Terraingesellschaften” an und wetterte über den Saustall der Korruption: Es ist keine Ehre, im Magistrat zu sitzen, wenn Männer darin sind, die Plätze ankaufen und dann zum Bau eines Spitals teuer an der Magistrat verkaufen. Um solche Zustände durch Kommunalwahlen zu ändern, müßten auch die Arbeiter das Bürgerrecht, durch dessen Erlangung man erst wahlberechtigt wurde, erwerben, auch wenn es 85 Mark kostet; Beamte dagegen hatten nur drei Mark zu bezahlen.
Nach dem Referat gab es eine Pause von zehn Minuten, dann meldete sich ein Genosse Josef Schmidt zu Wort, pflichtete dem Vortragenden bei und forderte alle Arbeiter auf, das Heimat- und Bürgerrecht zu erwerben. Um zehn Uhr schloß danach der Vorsitzende die Versammlung. Wie die Wahlergebnisse zeigen, hatte diese Aktion Erfolg.
Parteilokale
In der Kaiserstraße war 1900 kein Mangel an Wirtshäusern: Neben “Zum (Goldenen) Onkel” gab es “Zur Goldtante“, ”Kaiserstüberl“, “Kaiserhof”, “Kaisergarten” und zwei kleine sozialdemokratische Nachbarschaftslokale, “Rote Fahne” und “Solidarität”. Georg Rittmayer, Wirt des “Onkels”, hatte das Lokal erst 1899 erworben.
Im Meldebogen hatte er sich nicht nur als Wirt, sondern auch als Brauereibesitzer, Hausbesitzer, Früchtehändler und Geschäftsführer eingetragen. Er war Sozialdemokrat, inserierte öfter in der Parteizeitung “Münchener Post” und empfahl dort seine Lokalitäten für Versammlungen und Festivitäten. Er bezeichnete dabei “Zum Onkel” als Vereinslokal der Sektion und des Bürgerrechtsvereins Schwabing. Das Geschäft lief aber wohl nicht besonders gut, denn bereits 1903 verkaufte er wieder und zog in die Ursulastraße um. Bei diesem Genossen Rittmayer, der offenbar in höchsten Parteikreisen als zuverlässig und verschwiegen galt, wohnte Lenin in der Kaiserstraße.
Aus dem Arbeitermilieu ging auch der 1910 bezeugte “Volkschor Schwabing” hervor. Er zeichnete sich dadurch aus, da” er „gemischt“ war, d.h. daß auch Frauen mitsingen durften, denen ja im Kaiserreich vereinsmäßige, besonders aber politische Betätigung nicht gestattet war.
Alltagsleben von Lenin und Nadeschda Krupskaja
Die Frau des russischen Revolutionärs Lenin schilderte in autobiographischen Aufzeichnungen und Briefen ihr Leben im Exil: Lenin ließ sich 1900 in der Kaiserstraße nieder, ohne sich offiziell anzumelden, nannte sich ”Meyer“ und zog im Jahr darauf in die Siegfriedstraße um. Seine Lebensgefährtin Nadeshda Krupskaja charakterisierte das soziale Umfeld.
Nach meiner Ankunft zogen wir zu einer deutschen Arbeiterfamilie. Die Familie war recht groß, sie bestand aus sechs Personen. Sie hatten nur eine Küche und eine kleine Kammer. Aber es herrschte überall peinliche Sauberkeit, die Kinder waren sehr sauber und gut erzogen. Ich beschloß, Wladimir Iljitsch mit häuslicher Kost zu versorgen, und begann selber zu kochen. Ich kochte in der Küche der Wirtsleute, mußte aber alles in unserem Zimmer zubereiten. Ich bemühte mich, dabei sowenig Geräusche wie möglich zu verursachen, denn Wladimir Iljitsch schrieb damals schon an seiner Broschüre „Was tun?“. [...] Nach einem Monat bezogen wir eine eigene Wohnung in einem der zahlreichen großen Neubauten in der Münchner Vorstadt Schwabing [Siegfriedstraße 14] , schafften uns „Mobiliar“ an (das wir bei der Abreise für insgesamt 12 Mark wieder verkauften) und lebten wieder auf unsere Art.
Krupskaja schildert ihr Alltagsleben in Briefen an Verwandte und Freundinnen in Rußland:
7. Juni 1901: Wir sind hier recht gut untergekommen, haben eine eigene Wohnung. Die Mieten sind hier niedriger als in so (verhältnismäßig) großen Städten in Rußland; für die Einrichtung haben wir uns billige gebrauchte Möbel gekauft, [...] das Wirtschaften ist hier viel einfacher. Auch die Gegend ist sehr schön; wir wohnen am Stadtrand, in der Nähe gibt es einen Park mit viel Grün. Die Verbindung zum Zentrum ist Dank der elektrischen Straßenbahn vorzüglich.
11.Juni 1901: [...] hier vereinen sich für uns die Annehmlichkeiten der Großstadt - Läden, die Elektrische u. dgl. mit der Nähe der Natur. Gestern zum Beispiel machten wir einen prächtigen Spaziergang auf der Landstraße. Es ist eine wundervolle Straße, beiderseits mit Pappeln bepflanzt, und ringsum Felder und Gärten. Weiter weg sind wir nur einmal gefahren, aber wir hatten Pech, wir kamen in ein Gewitter und waren nachher sehr müde.
17. Juli 1901: Wir haben zum Beispiel die Möglichkeit, jeden Tag in einer sehr guten Badeanstalt verhältnismäßig billig zu baden, können Spaziergänge machen, und man hat es nicht weit, bis man aus der Stadt heraus ist. Der Straßenverkehr ist hier ungleich geringer als in einer gleich großen russische Stadt. Das kommt daher, daß die elektrische Straßenbahn und die Fahrräder die Pferdedroschken gänzlich zurückdrängen. Und der Verkehr von Fuhrwerken ist in dem Vorort, wo wir wohnen, völlig unbedeutend. 'Wir sind mit unserem Aufenthaltsort zufrieden und beabsichtigen nicht, aufs Land oder in die Sommerfrische zu gehen.
3. August 1901: [...] das Wetter ist sehr wechselhaft.Jjetzt regnet es wieder seit Tagen. Der Sommer ist diesmal so, daß man ihn in der Stadt sogar besser verbringt als auf dem Lande.
Parteitag in der »Schwabinger Brauerei«
1902 wurde vom 14. bis 20. September der »Reichsparteitag« der SPD in der Schwabinger Brauerei abgehalten. In dem Protokoll über die »Vorversammlung« dieses SPD-Parteitages wird auch das Ambiente im größten Lokal Schwabings geschildert: Das Kongreßlokal, die »Schwabinger Brauerei« liegt in Schwabing, einer Vorstadt Münchens. Der Garten der Brauerei, über deren Pforte ein rotes mit roten Fähnchen in den Landesfarben geschmücktes Schild den Delegierten: Willkommen, Vertreter der Arbeit! zuruft, ist ebenso wie die inneren Räumlichkeiten des großen Lokals überfüllt. Zu Tausenden sind die Münchener Arbeiter und Arbeiterinnen zusammengeströmt, um an der Eröffnung des Parteitages teilnehmen zu können.
Der große Nebensaal, der an den Kongreßsaal stößt, bietet mit der tiefen Mittelgalerie zwischen den beiden Sälen nicht genügend Raum für die Kopf an Kopf gedrängt stehenden Massen. Übervoll ist auch der prächtige Kongreßsaal, an dessen vier Längstafeln die Delegierten Platz genommen haben. Tannenreisig und Tannengirlanden schmücken die Säulen und 'Wände, Schilder erinnern an die früheren Parteitage der Gesamtpartei und der bayerischen Sozialdemokratie, herrliche Seidenfahnen hängen herab: die Banner aller pfälzischen Arbeitervereine. Eine Kolossalbüste der Freiheit, wie sie zuerst im Kongreßsaal zu Hannover die Vertreter der Partei begrüßte, sieht aus einem Hain immergrüner Pflanzen neben der breiten Tribüne, auf der das Präsidium sitzen wird, auf die Delegierten herab. Gesang der Münchener Abeitergesangvereine »Echo«, »Nordwest" und »Vorwärts« ging der Eröffnung des Parteitages
Auszug aus Reinhard Bauer: „Schwabing. Das Stadtteilbuch", München 1997 (Bavarica-Verlag). Wir danken dem Autor dafür, dass er uns seinen Text zur Verfügung gestellt hat.